Otto Lemm zum 91. Todestag
01.11.1867 bis 18.10.1920
Am 18. Oktober 2011 jährt sich zum 91. Mal der Todestag von Otto Lemm. Er war Inhaber der damals erfolgreichen Berliner Firma „Urban & Lemm“, die neben der bekannten Schuhcreme „Urbin“ chemische Artikel herstellte. Seine Produktionsstätte befand sich am Nonnendamm in unmittelbarer Nähe zum Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchhof. Hier ließ er sich ab 1917 in der östlichen Friedhofsecke, die er wohl von seiner Fabrik aus einsehen konnte, eine Grabkapelle errichten.
Diese zählt heute zu den prächtigsten Grabbauten auf Berlins Friedhöfen. Herausragend ist dieses monumentale Grabdenkmal außerdem durch seine neuromanischen Baustilformen, die gestalterisch auf die benachbarte Friedhofskapelle bezogen sind und mit ihr eine stilistische Einheit bilden.
Architekt der Grabkapelle war Max Werner, der auch die eindrucksvolle Villenanlage des wohlhabenden Fabrikanten in der Gatower Havellandschaft entworfen hat, die zusammen mit ihrer imposanten Gartenanlage zu den brillantesten Bau- und Gartendenkmalen Berlins zählt.
Der Grabbau ist auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes mit gleich langen Achsen errichtet. Dreiecksgiebel mit gestaffelten Blendbögen als Bauschmuck betonen die Achsen im Westen, Norden und Süden. Wie bei einem altchristlichen Kirchengebäude befindet sich im Osten der halbrunde Anbau einer Apsis, die im Innern als Altarraum dient. Zwischen den Schieferdächern der Giebel erhebt sich eine ebenfalls schiefergedeckte Tambourkuppel. Zur Belichtung der Kuppel dienen tiefer in das Mauerwerk eingeschnittene Rundbogenfenster, die schmuckvoll von Säulen untergliedert werden. Die Kuppelspitze bekrönt ein Pinienzapfen als christliches Sinnbild ewigen Lebens.
In schlichter Dominanz und formal ganz im Sinne des romanischen Baustils ist die Portalseite gestaltet. Über der schweren, mit Kassetten untergliederten Bronzetür befindet sich ein Tympanon, das christliche Symbole in Form eines mittig gesetzten Kreuzes zwischen stilisierten Weinranken darstellt. Dieses wird von mehreren Archivolten umgeben, die Immortellen als Sinnbilder der Unsterblichkeit und Blattwerk ornamentiert. Die Bogenläufe werden von Säulen zuseiten der Bronzetür getragen. Weinranken an den Kapitellen unterstreichen auch hier die christliche Symbolik.
In der Achse über dem Eingang und zwar in dem höchsten und in die Giebelspitze hineinragenden Blendbogen ist das Relief eines Christusmonogramms dargestellt – eine Kurzform des Namens Jesu Christi, die aus den ersten beiden Buchstaben des griechischen Wortes für Christus Chi (X) und Rho (P) gebildet wird. Links und rechts des Monogramms stehen die Buchstaben Alpha und Omega als erstem und letztem Schriftzeichen des griechischen Alphabets. Sie sind ein Sinnbild für die Ewigkeit Gottes und Christus selbst. In der Offenbarung des Johannes (Kap. 22,13) erschließt sich dazu der wörtliche Sinn: „Ich bin das A und O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.“
Auf der Giebelspitze erhebt sich ein Kreuz mit breiten und sehr kurzen Armen, das zwischen den Kreuzarmen eine strahlende Sonne zeigt, die symbolisch auf Christus hinweist und gleichzeitig als Hinweis auf die Auferstehung zu verstehen ist.
In dem rund 42 m² großen Innenraum über der Gruft hat sich die Familie Lemm einen prunkvollen Andachtsraum geschaffen. Kuppel und Wände sind zum Großteil mit Glasmosaik verkleidet, ein Teil der unteren Wandzonen ist mit Marmor überdeckt.
Im zentralen Blickpunkt befindet sich der kleine Altarraum, der mit kleinen Fenstern belichtet ist. Wie in einer kleinen Kapelle steht hier ein Marmoraltar, der mit einem rundbogigen Fries mittelalterlich romanisch wirkt. Der frontal darauf errichtete Engel hält ein Tondo mit einem Dreieck als Symbol der Dreifaltigkeit in den Händen. Bemerkenswert sind die drei Vögel auf den Schenkeln des Dreiecks, die wohl die geretteten Seelen versinnbildlichen. Der Künstler des Engels ist nicht bekannt.
Links vom Altar steht ein mittelalterlich anmutendes Kreuz auf hohem Sockel mit der Inschrift „Otto Lemm“, das dem Gedenken des Verstorbenen gilt.
Die ganze Pracht und Kostbarkeit des Innenraums entfaltet sich in den qualitätsvollen Glasmosaiken. Die Entwürfe zu den Darstellungen lieferte ebenfalls der Architekt Max Werner. Die Ausführung übernahm die 1889 begründete Werkstatt für Mosaik und Glasmalerei Puhl & Wagner und Gottfried Heinersdorff. Die renommierte Firma war auch als Hoflieferant für den Kaiser tätig und erhielt viele Staatsaufträge, so zum Beispiel die Ausführung der fast 3000 m² Mosaikfläche in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Viele bekannte Künstler und Architekten waren mit Entwürfen für die Firma tätig.
In den Mosaiken finden sich wie in einer Art Rückschau Motive des häuslichen Zusammenlebens der Familie Lemm und vorausschauende Darstellungen in Form himmlischer und paradiesischer Sphären.
In den Bogenflächen über der Tür und an den Seitenwänden sind Szenen aus dem Familienleben dargestellt: Über der Tür befindet sich das ehemalige Wohnhaus der Familie Lemm in Gatow, links das Ehepaar Lemm auf einer Gartenbank ausruhend und gegenüberliegend rechts sind Kinder der Familie Lemm auf einer Gartenbank sitzend und dahinter stehend dargestellt. Alle Motive sind überreich mit Blumen dekoriert.
Die Halbkuppel des Altarraums gleicht einer bewachsenen Pergola, durch die der Himmel und als feines Netzwerk noch weiter entfernt das Gottesreich hindurchscheint. Die üppig gefüllten Füllhörner zwischen den Fenstern sind Sinnbilder des Glücks und der reichen Ernte.
Die Kuppel zeigt mit dem Goldmosaik einen idealisierten, überirischen Raum und Himmel. Er wird als Ort vollendeter Herrlichkeit präsentiert: Blumen, Fasane, Rebhühner und andere Vögel zuseiten üppig gefüllter Obstschalen und edle Muster in den Fensterleibungen geben einen Eindruck von dem zu erwartenden Reichtum. Heilsgewissheit und Erlösung vom irdischen Leben verspricht der christliche Glaube, der durch das von Blumen bekrönte und umkränzte Christusmonogramm zusammen mit den griechischen Buchstaben Alpha und Omega im Zentrum der Kuppel verheißen wird.
Darauf bezieht sich die unter dem Kuppelrand im Kreis zu lesende Bibelinschrift aus dem 14. Kapitel des Johannesevangelium (Verse 2-3, 6), in dem es um das Abschiednehmen Jesu an die Jünger geht:
„IN MEINES VATERS HAUSE SIND VIELE WOHNUNGEN. WENN ES NICHT SO WÄRE, SO WOLLTE ICH ZU EUCH SAGEN, ICH GEHE HIN EUCH DIE STÄTTE ZU BEREITEN. UND OB ICH GINGE EUCH DIE STÄTTE ZU BEREITEN, WILL ICH DOCH WIEDERKOMMEN UND EUCH ZU MIR NEHMEN, AUF DASS IHR SEID WO ICH BIN. ICH BIN DIE WAHRHEIT UND DAS LEBEN; NIEMAND KOMMT ZUM VATER DENN DURCH MICH.“
In den vier Eckzwickeln der Kuppel, den sogenannten Pendentifs, sind Tugenden dargestellt, die der Verherrlichung des Verstorbenen dienen. Dargestellt sind der Glaube (Fides) mit dem Attribut eines Kreuzes in der rechten Hand, die Liebe (Caritas) mit dem Attribut eines Herzens in ihrer Linken, die Sanftmut (Mansuetudo) mit einem Lamm in den Armen und möglicherweise die Weisheit (Sapientia), die einen Spiegel als Zeichen der Selbsterkenntnis in der Linken hält und als einzige Figur ihren Kopf zur Seite wendet.
Direkt unter der Kuppel befindet sich die Gruftplatte aus Bronze. Den Zugang zur unterirdischen Gruft verschießt ein hellgrün gestrichenes, schmiedeeisernes Gitter, das mit stilisierten Formen, Pflanzen und christlichen Symbolen wie Lilie, Kreuz und Kelch ausgestattet ist.
In der Gruftkammer sind die individuell für das Ehepaar Lemm gefertigten, kupferbeschlagenen Holzsärge aufgestellt.
In der Vergangenheit wurden schon Instandsetzungsarbeiten an der Grabkapelle Lemm durchgeführt. Weitere Maßnahmen zum Erhalt dieses bedeutenden neuromanischen Grabgebäudes sind dringend notwendig. Deshalb fand es auch Aufnahme in der Publikation „Unter jedem Grabstein eine Weltgeschichte, Berliner Grabmale retten“, die vor kurzem vom Landesdenkmalamt herausgegeben worden ist, um in der breiten Öffentlichkeit Spender und Sponsoren für restauratorische Maßnahmen zu gewinnen. Der Publikation entsprechende ausführliche Informationen finden sich auf der Internetseite: www.berliner-grabmale-retten.de.
Text: Martina Samulat-Gede M. A., Öffentlichkeitsarbeit
Bildnachweis: Martina Samulat-Gede M. A., Grabkapelle und Altarraum im Innern, Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchhof, Fotos 2011
Literatur:
– Jochens, Birgit / May, Herbert: Die Friedhöfe in Berlin-Charlottenburg. Geschichte der Friedhofsanlagen und deren Grabmalkultur, Berlin 1994
– Katalog zur Ausstellung: Wände aus farbigem Glas. Das Archiv der vereinigten Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei Puhl & Wagner, Gottfried Heinersdorf, hrsg. von der Berlinischen Galerie und vom Museumspädagogischen Dienst Berlin, Berlin 1989