Friedrich Naumann
* 25. März 1860 in Störmthal, bei Leipzig; † 24. August 1919 in Travemünde
Zum diesjährigen 95. Todestag des Pfarrers, Publizisten und Politikers
Am 24. August 1919 starb in Travemünde an der Ostsee Friedrich Naumann, Vorsitzender der ein knappes Jahr zuvor gegründeten Deutschen Demokratischen Partei, Abgeordneter der verfassungsgebenden Nationalversammlung in Weimar, Herausgeber der Zeitschrift „Die Hilfe“ und erfolgreicher Autor politischer Sachbücher. Er wurde nur 59 Jahre alt. In Berlin liegt er begraben, dort, wo er zwei Jahrzehnte lang politisch und publizistisch gewirkt hatte.
In Störmthal bei Leipzig, einem wohlhabend gewesenen und in unserer Zeit beinahe von Braunkohle aufgefressenen Dorf, steht noch heute das Haus, in dem er am 23. März 1860 geboren wurde. Vater und Großvater Theologen – was Wunder, dass sich auch ihr Spross der Gotteswissenschaft zuwandte, freilich nach inneren Kämpfen und Bedenken. Zu beidem, Bedenken und Entschluss, trug gewiss die Fürstenschule St. Afra zu Meißen bei, in die der junge Friedrich als Obersekundaner eintrat. Er hatte es dort nicht leicht, nicht bloß der strengen Ordnung wegen, die er in späterer Rückschau sogar lobte als Teil des „erziehenden Gesamtgeists“ von St. Afra, der frei von pädagogischen Sentimentalitäten gewesen sei, vielmehr „herb und derb und voll Kämpfen und allerlei
Romantik“.
Aber er war kein guter Turner, ein schlechter Sänger und in den Sprachen gerade mittelmäßig. Auch dauerte es seine Zeit, bis die Kameraden den Spätkömmling akzeptiert hatten. Und doch liebte er seine Schule lebenslang so sehr, dass er meinte, wenn er einen Sohn hätte, der gesund und stark wäre, so müsse er dieselbe Schule durchmachen. Mathematik war sein Lieblingsfach, das er zunächst studieren wollte, bis dann die von Elternhaus und Schule herkommende Ergriffenheit von den Glaubensfragen doch obsiegte.
Dieses Leben war bunt genug. Nach dem Theologiestudium in Leipzig und Erlangen diente er zwei Jahre lang als Oberhelfer im Hamburger Rauhen Haus, der berühmten Gründung des evangelischen Sozialethikers und Sozialpraktikers Johann Hinrich Wichern.
Dieser Einführung in die Gegenwartsprobleme des Industriezeitalters folgten vier Jahre Pfarramt im sächsischen Langenberg, einem Arbeiterdorf, und erste Schriften, beginnend mit einem Arbeiterkatechismus – sodann die Rückkehr zur Inneren Mission, der Gründung Wicherns, als geistlicher Betreuer sozialer Einrichtungen in Frankfurt am Main. In diese Zeit fiel der Beginn von Naumanns politischer Tätigkeit in der damaligen christlich-sozialen Bewegung und intensiver publizistischer Tätigkeit in deren Sinn als einer ihrer Sprecher.
Aber bald wagte der junge Pfarrer den Sprung auf die eigenen Füße: 1895 gründete er, mit wenig Geld und viel Mut, seine eigene Wochenschrift „Die Hilfe“. Schon im Jahr darauf kam das zweite, noch größere Wagnis, nämlich die Gründung des nationalsozialen Vereins als politische Partei, beides gefolgt von dem Ausscheiden aus dem Pfarramt und der Übersiedlung in das politische Zentrum Berlins.
Seither bis zu seinem Tod blieb Friedrich Naumann Publizist und Politiker von Beruf und aus Berufung, freilich mit Erfolgen und Niederlagen gleichermaßen. Er war als Redner und Schriftsteller einer der wirkungsmächtigsten Männer des öffentlichen Lebens seiner Zeit. Seine Zeitschrift „Die Hilfe“ war bald einflussreich, seine politischen Bücher waren allesamt Bestseller, allen voran die Programmschrift „Mitteleuropa“ von 1915. Nach der Auflösung des „National-sozialen Vereins“ und dem Übertritt Naumanns mit der Mehrzahl seiner Gesinnungsgenossen zur linksliberalen Freisinnigen Vereinigung im Jahre 1903 schaffte er 1907 die Wahl in den Reichstag – nicht zuletzt übrigens dank seines jungen Wahlkampfleiters Theodor Heuss, in dessen Heimatstadt Heilbronn er kandidierte. Aber im Parlament blieb er Außenseiter, und erst 1919 gelang mit der Wahl zum ersten Vorsitzenden der Deutschen Demokratischen Partei der Sprung zur politischen Spitze. Da ereilte den durch Kriegshunger Geschwächten ein plötzlicher und einsamer Tod.
Text aus: Dr. Barthold C. Witte „Friedrich Naumann, sein Leben, sein Werk, seine Wirkung“ in: Friedrich Naumann „Daß wir selber frei zu werden suchen, so viel uns immer möglich ist“, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Naumanns Grab befindet sich auf dem Alten Zwölf-Apostel-Friedhof in Berlin-Schöneberg. Eine schlichte Natursteinplatte im Boden trägt neben Namen, Geburts- und Sterbedaten ein einfaches Kreuz. Flache Granitschwellen frieden die Ehrengrabstätte des Landes Berlin ein.